Es war einmal vor langer, langer Zeit, ein kleiner Orangensaft. Er stand im Regal in der Migros neben vielen anderen kleinen Orangensäften.
Doch dieser Saft war anders.
Er war ganz traurig und fühlte sich, trotz der Gesellschaft der anderen Säfte sehr, sehr einsam. Die anderen Orangensäfte konnten ihn nicht verstehen und wollten ihn trösten, indem sie ihm erzählten, dass es ihm doch an nichts mangle. Aber der kleine Orangensaft liess sich nicht vom Geschwafel der anderen beeinflussen. Er hörte in seiner Verzweiflung gar nicht mehr zu. Andauernd schaute er verstohlen zum Regal gegenüber. Diese prächtigen Colaflaschen benied er wirklich. Ständig träumte er davon auch mal so toll zu sein. Der Gedanke an Kohlensäure in seinem Innern liess ihn nicht mehr los. Da er aber genau wusste, dass dies niemals möglich sein würde, versank er noch tiefer in seiner Verzweiflung und im Selbstmittleid.
Mit der Zeit wurde sein Verlangen eine Cola zu sein einfach zu gross. Er schnappte sich seinen Strohhalm, der noch an ihm klebte und funktionierte diesen um in einen Füller. Anschliessend rekelte er sich, bis er sich den Kassenzettel vom anderen Regal ergattern konnte und setzte auf:
„Liebe Welt, liebste Orangensäfte und Orangensäftinnen, liebe Lageristen und Lageristinnen. Dies ist der wahrscheinlich einzigste Abschiedsbrief eines verzweifelten Orangensaftes, den sie je gesehen haben und je sehen werden.
Ich halte dieses Leben hier im Regal einfach nicht mehr aus! Ich sehne mich mehr nach Kohlensäure, als ihr euch überhaupt vorstellen könntet. Und mit jedem Tag wird das Verlangen stärker. Es zerreisst mich und meine Gedanken kreisen ununterbrochen nur noch um dieses eine Thema: ICH WILL EINE COLA SEIN!!! Da ich leider keine guten Beziehungen zu Rechtsanwälten oder Notaren habe, setze ich mein Testament auf diesen Kassenbon. Ich möchte meinen gesamten Besitz, das heisst, meinen Strohhalm, meinem besten Freund, dem grünen Textmarker, der im fünften Regal von hinten lagert, vermachen. Nicht der Wertzählt, sondern nur, dass ich ihm viel verdanke und somit meine Dankbarkeit ausdrücken möchte. Es tut mir leid für alles!
Ich habe euch alle lieb!!! Küsschen und danke für alles!
Ich velasse nun diese Orangensäfte, dieses Regal, diese Migros, diese Welt, dieses Universum und erlöse mich somit von meinem immer grösserwerdenden Schmerz.
In Liebe, euer kleiner Orangensaft.“
Und sodann er das letzte Wort gekritzelt hatte, stürzte er sich in die Tiefe.
Sein Saft verteilte sich 6 Regale tiefer auf dem ganzen Boden und man roch förmlich seine Erleichterung.
Wir denken nun alle an ihn, den kleinen Orangensaft, der uns immerwieder vor augenführt, dass wir niemals mit dem zufrieden sind, was wir sind oder haben.
Denkt zwischendurch an ihn und überlegt, was ihr alles an Reichtum und innerem Wert besitzt ?
(Original geschrieben von spoliatrix, in Erinnerung an eine vergangene Ascom Zeit)